GEDOK - 93


Die Eröffnung fand am 16. Mai 2019 statt.

Das Thema der Ausstellung ist eine Zahl. Wofür steht sie?

Für alles, nichts, sicherlich bei jedem für etwas anderes.
Sie steht als Frage im Raum, als Assoziation, als Bild und Klang.
Sie ist offen, ein Bindeglied, ein Impuls, eine Erinnerung, ein Gedanke, ein Modell, eine Idee.


Vor 93 Jahren wurde die Gedok gegründet, der §93 des BGB befasst sich mit den „wesentlichen Bestandteilen einer Sache“, Sextus Pompeius Collega und Quintus Peducaeus Priscinus waren im Jahr 93 römische Konsuln, 
93 ist die Telefonvorwahl von Afghanistan,
im Periodensystem belegt die Ordnungszahl 93 das radioaktive Element Neptunium.

Überhaupt kann die 93 für eine Zahl stehen, ein Datum, die Mathematik und das Rationale. Der United Airlines Flug 93 ist eines der Flugzeuge, die am 11. September 2001 entführt wurden, 1793 eine Novelle von Victor Hugo, die Symphonie 93 von Joseph Haydn wird auch die Londoner Symphonie genannt.
 93 ist eine Zahl, um zu ordnen und sortieren, zu reflektieren und imaginieren, zu berechnen und erspüren.

Da mit dem Titel der Ausstellung ja auf den Zeitraumverwiesen wird, seitdem die GEDOK aktiv ist, möchte ich gerne mit der Arbeit von Elke Lehmannbeginnen, die sich vielleicht am unmittelbarsten mit der Institution selbst auseinandersetzt. 

Eine große hochformatige Zeichnung – umgeben von mehreren Porträts – zeigt eine tanzende weibliche Figur. Die Farbigkeit – Preußischblau, Zinnoberrot und Gold –  sowie die Gewänder erinnern an spätmittelalterliche Mariendarstellungen. Sie stehen allerdings im Gegensatz zur Nacktheit der Figur im Hauptbild sowie zum sichtlich verwendeten Lippenstift und den eigenwilligen Gesichtsausdrücken. Nimmt man den Titel hinzu – „Maria übt sich seit 93 Jahren im Ausdruckstanz“ – erschließt sich ein humorvoller Bezug zu den Nachwirkungen der Lebensreformbewegung in der Gründungszeit der GEDOK und ein feines Spiel mit Assoziationen zu Fragen weiblicher Rollenbilder.

Wer nimmt teil?

 



Beate Baumgärtner

Eva Borsdorf

Sibylle Burrer

Monika Drach

Gabriele Eberspächer



Beate Jakob

Anja Klafki

Inge Koch

Elke Lehmann



Conny Luley

Renate Maucher

Chris Nägele

Christa Planck



Susa Ramsthaler

Stefanie Reling-Burns

Beate Rygiert

Maria Grazia Sacchitelli



Eva Schmeckenbecher

Ina Schneider

Cosima Schuba


Ingrid Schütz

Julia Wenz/Anne Römpp

Uta Weyrich

Sylvia Winkler




Das ist eine spannende Ausstellung.

Rede Herr Stürzl - Einleitung -

Liebe Gäste,

auch ich möchte Sie ganz herzlich begrüßen zur diesjährigen Mitgliederausstellung der Stuttgarter GEDOK hier im Kunstbezirk – einer Schau, die einen besonderen Titel trägt: nämlich eine Zahl – genauer die 93.

Anlass ist die Gründung der GEDOK im Jahr 1926 durch Ida Dehmel vor genau 93 Jahren. Die Zahl nimmt also auf einen Zeitraum Bezug – den der Aktivität der GEDOK seit ihrer Gründung bis heute. Und sie bezieht durch die Wahl des Titels – so könnte man sagen – das künstlerische Schaffen aller ehemaligen und aktuellen Mitglieder implizit mit ein. Auch wenn wir heute natürlich nur eine Auswahl von 24 Positionen aus der Stuttgarter GEDOK-Gruppe real zu Gesicht bekommen. 

Doch was bedeutet es inhaltlich, eine Zahl zum Titel einer Ausstellung zu wählen? Ich gebe zu, als ich zum ersten Mal davon hörte, hatte ich mir das Ergebnis eher etwas nüchtern vorgestellt. Im Alltag verbindet man Zahlen ja meist mit Themenfeldern wie Mathematik, Technik, Wirtschaft, Statistik, Tabellen und vielleicht auch mit den Codes unserer heutigen Medienwelt.

Umso größer war für mich die Überraschung, als ich mir die Ausstellung dann ansah: Die Unterschiedlichkeit in den Herangehensweisen ist – so glaube ich – an Vielfältigkeit kaum zu überbieten. Und die gezeigten Arbeiten bringen zum Erlebnis, dass sich Zahlen viel umfassender begreifen lassen, als man im Alltag gemeinhin denkt. 

Auch wenn man in die Kunstgeschichte blickt, stellt man fest: Zahlen haben Künstlerinnen und Künstler schon seit jeher fasziniert und inspiriert. Man denke nur an die Zahlensymbolik und -mystik in vielen Werken des Mittelalters, der Renaissance und des Barock. Oder – im 20. Jahrhundert – an Konzeptkünstlerinnen und -künstler wie Hanne Darboven, On Kawara oder Roman Opalka, deren Werke ja auf unterschiedliche Weise ganz konkret durch die Verwendung von Zahlen geprägt sind.

Zwar kommt es auch in der heutigen Ausstellung immer wieder einmal vor, dass die „93“ auftaucht, insgesamt wird das Thema aber eher breiter aufgefasst. Ganz im Sinne der Einladung, in der es zur Zahl 93 heißt: „Sie steht als Frage im Raum, als Assoziation, als Bild und Klang. Sie ist offen, ein Bindeglied, ein Impuls, eine Erinnerung, ein Gedanke, ein Modell, eine Idee.“

Im Folgenden möchte ich die ausgestellten Arbeiten und ihre Beziehung zur Zahl „93“ gerne ein wenig skizzieren. Natürlich ist es bei einer so großen Gruppenausstellung nicht zu leisten, wirklich angemessen und ausführlich auf die Einzelpositionen einzugehen. 

Ich habe daher versucht, die Arbeiten nach bestimmten Aspekten zu ordnen, auch wenn mir klar ist, dass die Zuordnung letztlich jeweils auch unter einem anderen Blickwinkel möglich gewesen wäre. Aber ich denke, meine Worte können ja sowieso nur eine erste Anregung für eine nachfolgende individuelle Betrachtung sein. 

- Vorstellung der Künstler -

Beate Jakob und Ingrid Schütz

Ebenfalls einen direkten Zeitbezug – nun allerdings hinsichtlich eines bestimmten Zeitpunkts – beinhalten die Arbeiten von Beate Jakob und Ingrid Schütz. 

Die vier versetzt gehängten schwebende Quadrate in Schwarz und Pink von Beate Jakob loten konstruktive kompositorische Bezüge zwischen Farbe, Form und Fläche aus und erweisen sich – dank ihres Titels„to Blinky to Imi“– als Hommage an Blinky Palermo und Imi Knoebel. Die Arbeit entstand im Jahr 1993 noch während des Malereistudiums der Künstlerin an der Stuttgarter Akademie. 

Gleichzeitig – also ebenfalls im Jahr 1993 – kaufte sich Ingrid Schütz auf einer Studienfahrt in Pirna ein rot-weiß gepunktetes Kleidchen. Ein Jahr später – als die Künstlerin in Barcelona auf eine entsprechend gemusterte Schachtel traf – wurde es zum Ausgangspunkt ihrer legendären Sammlung rot-weiß gepunkteter Gegenstände. Aus diesem mittlerweile riesigen Fundus hat Ingrid Schütz auf 100 Feldern 93 ganz verschiedene Objekte ausgebreitet, die im Betrachter – durchaus auch mit einem Augenzwinkern – individuelle Erinnerungen und Assoziationen auslösen.

Uta Weyrich

Bezüge zu Politik und Gesellschaft finden sich auch bei Uta Weyrich. Siehat in ihrer Installation „talking about poverty“an eine netzartige Struktur Schilder mit Statements gehängt – eine Art „Cloud“ mit 93 Kommentaren von Menschen, die am Existenzminimum leben. Die Aussagen sind im Rahmen der „Nachbarschafts­gespräche“ über Armut und Reichtum im Generationenhaus Heslach entstanden, und die Künstlerin ermöglicht es mit dieser Arbeit, Menschen am Rande der Gesellschaft, ihre Stimme in den Rahmen kultureller Reflexionen zu einzubringen.

Beate Baumgärtner

Auch bei Beate Baumgärtner geht es im weitesten Sinne um Kommunikation. Ihr großformatiges Plakat präsentiert sich als eine Art Collage, in dessen Zentrum sich ein irrtümlicher Brief mit der Anschrift: „Beate Baumgärtner / An die Sicherheitsfachkraft im ‚So-und-so-Weg‘ 93“ in Stuttgart befindet. Kombiniert ist es mit der Abbildung der Zeitschrift „Arts of the Working Class“ und einem Zitat von Warren Buffet, dem erfolgreichsten Investor aller Zeiten. Eingebunden in ihre Werkserie „Chatbook“, innerhalb der sie sich u.a. mit Chats von Tradern und Börsenmaklern beschäftigt, untersucht sie die Probleme sprachlicher und visueller Kommunikation, ihre Vielschichtigkeit und Unschärfe. Die Zahl 93 erscheint in dieser Arbeit als Teil dieses Fragekomplexes.

Eva Schmeckenbechers

Damit rückt ihre Analyse auch in die Nähe von Eva SchmeckenbechersBildcollage mit dem Titel „93“.  Die zusammengesetzten rechteckigen Einzelbilder zeigen als Ganzes ein schwer erfassbares Knäuel von Leibern – offenbar innerhalb eines Sportereignisses. Der Titel lässt offen, worauf sich die genannte Zahl bezieht – vielleicht auf die Spieler oder die Teile der Zeichnung. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man schließlich eine 9 und eine 3 auf den T-Shirts zweier Figuren. So entstehen Mehrdeutigkeiten und Ambivalenzen, die sich letztlich nicht ganz auflösen lassen.

Gabriele Eberspächer

Auf andere Weise finden sich Unschärfen im Umgang mit der Zahl auch bei Gabriele Eberspächer. Ihr Bild Neun plus drei ist gleich ... Oder: Der Ernst des Lebens beginnt“zeigt ein Kind mit Schultüte, über dem eine Rechenaufgabe in einer Wolke aus neun und drei Punkten schwebt. Doch im Hintergrund befinden sich nicht etwa  12, sondern 13 ovale Formen, die eine – wie die Künstlerin sich ausdrückt – „unkonventionelle, jedoch nicht ganz korrekte Lösung“ vorgaukeln.

Julia Wenz und Anne Römpp

Auf die 12, die Quersummer von 93, bauen auch Julia Wenz und Anne Römppin ihrer Arbeit mit dem Titel „93/12“ auf. Doch tritt hier die Frage nach der Schärfe oder Unschärfe von Kommunikation zugunsten einer Recherche nach der Ordnung der Dingezurück. 12 Rahmen sind in der Installation mit 93 Gegenständen bestückt, die aus der unmittelbaren Umgebung der Künstlerinnen oder dem Umraum des Gustav-Siegle-Hauses stammen. Mit Hilfe der Rahmen werden ästhetische Räume ausgewiesen, überschritten, miteinander verbunden – auf der Suche nach der Frage: Was ist Ordnung und Zuordnung, was Zugehörigkeit?

Inge Koch

In anderer Weise hat Inge Kochsich einem ähnlichen Thema genähert: An 93 Tagen sammelte sie Objekte von der Straße und legte sie jeweils in eine eigene Schachtel – dem Betrachter dienen sie als Anregung, Zusammenhänge zwischen den bunten Fundstücken herzustellen und möglicherweise Geschichten zu imaginieren.

Cosima Schuba

Cosima Schuba wiederum hat keine Alltagsgegenstände gesammelt, sondern 93  verschiedene Rosenblätter. Ihren Trocknungsprozess hat sie in Ölmalerei umgesetzt, eine Technik, die ebenfalls langen Trocknungsprozessen unterworfen ist. Die Ergebnisse sind zum Teil formal wie farblich weit von unserer Vorstellung eines Rosenblatts entfernt und evozieren verschiedenste Assoziationen zu Themenfelder wie Vergänglichkeit und Alter oder Körperlichkeit, Sexualität und Liebe.

Conny Luley

Anders als in den eben genannten Arbeiten wird die Suche nach einer Ordnung der Dinge bei Conny Luley nicht in Form einer Reihung vollzogen, sondern als Schichtung umgesetzt. In ihrer Arbeit „FARBBÜNDEL 31-31-31“ legte sieinsgesamt 93Lasurschichten in der gleichbleibenden Reihenfolge Cyan – Gelb – Magenta übereinander. Farbverdichtungen, Farbverläufe und Abriebe wurden bewusst nicht beeinflusst.Bei längerem Hinsehen schimmern nun immer wieder unterschiedliche Farben durch den dunklen, blau-violetten Grundton des in ständiger Veränderung begriffen Farbobjekts.

Ina Schneiders

Auf wieder ganz andere Weise nähert sich Ina Schneidersden Ordnungs-verhältnissen unserer Welt – mit einem Schwerpunkt auf Bezügen im Sozialen. 25 Schwarzweiß-Fotografien zeigen unter dem Titel   „Entwicklung der Verhältnisse“eine Wiese, auf der sich 93 Holzstäbe immer wieder neu zu Gruppen formieren. Fragen nach Gemeinschaftsbildung und Ausgrenzung tauchen auf – nach Macht und Ohnmacht, nach Gegeneinander und Miteinander. Auch die linienartigen Strukturen lassen sich darin je nach Kontext als verbindende Wege oder auch als trennende Grenzen deuten und machen erfahrbar, wie unterschiedlich sich die Dinge aus verschiedenen Perspektiven darstellen.

Susa Ramsthaler

Auch Susa Ramsthaleruntersucht die Ordnung der Dinge – allerdings eher in Bezug auf die Vorlieben der Menschen. Und zwar ganz konkret hier im Raum. Ihre performative Installation besteht aus 93 Sitzgelegenheiten ganz unterschiedlicher Art – von Stühlen über Hocker bis zu Sitzkissen. Indem sie sie – nach meiner Rede – einzeln dem aktuell noch existierenden Haufen entnehmen und im Raum verteilen wird, macht sie auf die Geschichte und individuelle Erscheinungsform der Objekte aufmerksam. Und sie bietet von dem Moment an den Besuchern an, ihren Platz in der Ausstellung nach persönlichem Gusto auszuwählen und zu nutzen.

Maria Grazia Sachitelli

Mit einer anderen Form der Ordnung – nämlich der Zahl als Maß– beschäftigen sich zwei andere Arbeiten. Maria Grazia Sachitelli hat für ihre Installation „93 - Dokumentation eines Anpassungsversuchs“eine Sammlung alter Stromkabel so lange auf die Länge von 93 cm abgeschnitten, bis jeweils nur ein kleiner Rest übrigblieb. Es entstanden vier Bündel in den Farben Rot, Gelb, Weiß und Grün, die geordnet in Schleifen an der Wand positioniert sind. Der Rest liegt am Boden – bunt und ungeordnet – eine Metapher vielleicht für die Macht des Zufalls bei der Entstehung lebendiger Zusammenhänge.

Anja Klafkis

Anja Klafkis „Maß“ hingegen ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Projektion. In ihrer Installation„Dreiundneunzig Zentimeter“sind das Bild eines Anglers und das eines Karpfens auf zwei transparente Folien gebannt. Im zusammengesetzten Schattenbild schließlich, dass aufgrund einer Durchleuchtung an der Wand zu sehen ist, trägt der Mensch den dort genau 93 cm langen Fisch. Der augenzwinkernde Bezug zum Anglerlatein erscheint dank des komplexen Versuchsaufbaus zugleich als eine grundsätzliche Recherche zum Verhältnis von Messbarkeit, Imagination und Bewertung.

Stefanie Reling

Insbesondere um Imagination– ausgehen von der Zahl als formalem Zeichen – geht es Stefanie Relingin ihrer Arbeit „93x – Unendlichkeitsstellen“. Die zugrundlegende Idee ist, dass – wenn einer Zahl ein Zeichenelement hinzugefügt wird – sich Strukturen ergeben, die zu einer vom ursprünglichen Zeichen und seiner Bedeutung losgelösten Form werden. Es entsteht eine Welt der „wunderbaren Endlosigkeit der Zahlenreihen und Kombinationen“, wie die Künstlerin Novalis zitiert. Am Beispiel der Zahl 93 hat sie sich mithilfe einer Schreibmaschine an die Erforschung dieser Welt gemacht, etwa um mit der 93 als einem rein grafischen Element endlose Muster anzufertigen. Ein Vorgehen, das an Verfahren der konkreten Poesie erinnert. 

Und tatsächlich sind auch noch einige weitere Arbeiten in der Ausstellung zu sehen, die recht konkret mit dem Bereich der Literatur zu tun haben. 

Beate Rygiert

Beate Rygiert, die selbst als Autorin arbeitet, hat aus allen ihren in der GEDOK-Zeit entstandenen Büchern die Seite 93 herausgetrennt und sie – einem seriellen Prinzip folgend – in einer Reihe nebeneinander aufgehängt, wodurch letztlich eine neue, Erzählung mit zum Teil auch humorvollen Verbindungen entsteht. Zudem wurde jedes 93. Wort markiert, wodurch – wenn man so will – ein weiterer Metatext generiert wird. Er beginnt wie folgt: „an mir Infant etwas Morgensonne professionell Delegation Staatsaufträge also …“ – und so weiter. Auf der semantischen Ebene ist hier kein direkter Bedeutungszusammenhang mehr erschließbar, wenn auch durchaus so etwas wie ein Sinn ahnbar bleibt. 

Monika Drach

Das Aufbrechen der herkömmlichen Sprachstrukturen kennt man auch von der hermetischen Lyrik. Monika Drach hat sich in ihrer Installation „Sieh dich nicht um ... Es kommen härtere Tage“ mit einer der Protagonistinnen dieser Richtung beschäftigt:Ingeborg Bachmann, so hat sie recherchiert, wäre in diesem Jahr ebenfalls 93 Jahre alt geworden. Ihre posthum veröffentlichten Gedichte aus dem Band „Ich weiß keine bessere Welt …“ sind mit einem Objekt aus Holzlatten und Stoff kontrastiert, das an einen Schlitten oder eine Art Rentier erinnert. Durch die Verbindung visueller und textueller Fragmente eröffnen sich neue Deutungs­möglichkeiten, die vielleicht auch mit Fragen nach dem Tod zusammenhängen, die Ingeborg Bachmann in ihrem letzten großen Prosaprojekt beschäftigten.

Christa Planck

Mit dem Buch der Bücher – genauer gesagt dem 93. Psalm daraus, – hat sich Christa Planckin Form einer Collage aus versetzt geschichteten Papieren beschäftigt. Mit ihren Umrissen erinnern sie formal an Wellen, von denen im Text die Rede ist. Auch erscheint die formale Dynamik als Spiegel der bewegten und monumentalen Sprache des Psalms, der die „Herrlichkeit des Reiches Gottes“ besingt. 

Sibylle Burrer

Mit einer mehrteiligen Skulptur „Annäherung an Psalm 93“hat Sibylle Burrereine weitere Interpretation zu dem biblischen Text beigesteuert: eine Reihe aus fünf Objekten aus korrodiertem Stahl, die man den fünf Strophen des Psalms zuordnen kann. Die Form eines Würfels wird durch von ihm abgeleitete, flachere Körper mit teils rhombischen Seitenflächen variiert und verblüfft das Auge. Denn aus jeder Blickrichtung stellen sich die Formen auf unterschiedliche Weise dar. Eine Metapher vielleicht über die Zeit- und Raumgebundenheit menschlicher Wahrnehmung vor dem Hintergrund des Psalms.

Chris Nägeles

Von der Literatur sind wir nun beinahe unmerklich in den Bereich der Stereo- und Geometriegewechselt – eine Ebene, in der Zahlen ja ebenfalls eine bedeutende Rolle spielen. So etwa in Chris NägelesLichtskulptur „Neundreieck“. Die zwei geometrischen Formen eines Neunecks und eines Dreiecks hat sie zu einer spannungsreichen Form verbunden, die zwar die „93“ beinhaltet, die Zahl aber nicht eindeutig bezeichnet. 

Renate Maucher

Auch Renate Maucher greift auf geometrische Grundformen zurück. In ihrer konstruktiv- abstrakten, weitgehend schwarz-weißen Linoldruck-Collage mit dem Titel „93 + 7 = 100“ stellen 93 kleine weiße Quadrate einen Bezug zu der vorgegebenen Zahl her. Eine starre Ordnung wird aber durch sieben frei auf der Fläche positionierte gelbe Quadrate (die die 100 sozusagen auffüllen) vermieden, außerdem – wenn ich es richtig sehe – auch durch weitere formale Interventionen, die mit den Zahlen 3 und 9 spielen.

Eva Borsdorf

Und last but not least greift auch Eva Borsdorf in ihrer poetischen Tuschezeichnung mit dem Titel „Zellen (9 x 3)“auf geometrische Grundformen zurück. Drei große runde Felder enthalten je neun konzentrische Kreise, die von innen nach außen immer heller werden. Sie verbinden sich an unterschiedlichen Zonen mit den Nachbarkreisen und bilden auf diese Weise eine untrennbare Gesamtform. Ähnlich wie bei Chris Nägele wird die Zahl 93 hier zwar zeichnerisch umspielt, nicht aber explizit genannt.




Sie sehen, eine Zahl zum Ausgangspunkt einer Ausstellung zu machen, bietet eine schier unerschöpfliche Vielfalt an Möglichkeiten der Auseinandersetzung. Sie reichen von Ansätzen in den Bereichen Zeit, Politik und Gesellschaft über Maß- und Ordnungssysteme bis hin zu Literatur und Geometrie.

Ich denke, die Mitgliederausstellung der GEDOK deckt diese Bandbreite auf ausgesprochen überzeugende Weise ab. Und ich möchte Sie abschließend dazu ermutigen, sich anhand der ausgestellten Arbeiten auf eine persönliche Forschungsreise nach der Zahl 93 zu begeben. Ganz im Sinne der Einladung: in Form von Assoziationen, Bildern, Erinnerungen, Klängen – oder auch eines außergewöhnlichen Gedankens.

Vielen Dank!

Rede als Download

Und das sagt die Presse dazu: