Das unbekannte Meisterwerk

 

»DAS UNBEKANNTE MEISTERWERK«

4 Positionen zeitgenössischer Malerei

Barbara Armbruster – Isolde Kapp – Christa Munkert – Kerstin Schaefer

 

Von Fr., 20. Oktober bis Sa., 28. Oktober 2017

Eröffnung war am Freitag, den 20. Oktober 2017 um 19 Uhr

Begrüßung: Dr. Peter Hoffmann

Laudatorin: Vivien Sigmund, Kunsthistorikerin

Die Ausstellung „Das unbekannte Meisterwerk“ zeigt Malerei. Reine Malerei?

Unbedingte Malerei. Lebensnotwendige Malerei. Starke Malerei. Fragende Malerei. Hinterfragende Malerei. Ungesehende Malerei. Findende Malerei. Malerei als Antwort?

Die 4 Positionen neuer Malerei werden im Dunkel des großen Raums durch Kunstlicht punktuell beleuchtet und so ergibt sich die Möglichkeit zu einer innigen und bewegenden, starken atmosphärischen Begegnung mit den Gemälden.

Es wird der Gattung Malerei ein experimentelles, frisches Forum gegeben. Vier höchst unterschiedliche Versionen der Auffassung von gegenwärtiger Malerei sind zu sehen. Vibrierende Farben auf teils großen Formaten, modulare Malerei, leuchtstarke Eitemperamalerei, Gegenständliches, Punk zeigt sich neben modulierenden Farbfeldern, ungegenständlicher Malerei, die sehr reduziert ist.

Fragen, Diskussion und Gespräch mit den Künstlerinnen ist in Rahmenprogramm an 3 Tagen viel Raum und Zeit gewidmet, herzliche Einladung!

Sonderveranstaltungen:

Picknick & Jazz in der Ausstellung

Samstag, 21. Oktober: ab 14h bis abends: KÜNSTLERPICKNICK in der Galerie, alle Interessierten, Flaneur*innen, Neugierige und Kunstliebhaber sind willkommen, wir sitzen nach Lust und Laune im Ausstellungsraum auf dem Boden zusammen beim Picknick, ein Kommen und Gehen und Wiederkommen ist erwünscht, es ist Zeit für Gespräch und Kontemplation, es gibt Chai und Suppe - bitte Picknickdecken, Speisen und Getränke und alle guten Freunde mitbringen.

…das „sit in“ mündet dann abends in ein experimentelles Jazzkonzert:          ab 20:30 Uhr spielen KISCHKAT-KÜHNER-WEISS! Improvisierter Underground Jazz mit lyrischen Texten aus der Enzyklopädie „Museum der modernen Poesie“ von Hans Magnus Enzensberger – open end

UND:

Sonntag, der 22. Oktober: „Es ist geöffnet – MEET THE ARTISTS“ ab 11 Uhr bis ca. 18 Uhr

ÖffnungszeitenDi-Fr 15-19h - Sa 14-18h

AusstellungsortKunstbezirk Stuttgart, Gustav-Siegle-Haus, Leonhardsplatz 28, 70182 Stuttgart

 

Infos zu den Künstlerinnen:

Barbara Armbruster

Barbara Armbruster arbeitet mit verschiedenen Medien und bewegt sich zwischen verschiedenen Kulturen und Kontinenten, zwischen Orient und Okzident. Neben Fotografie, performativen Videos spielen in einem vielschichtigen Beziehungsgeflecht auch großformatige Zeichnungen und Malerei eine Rolle. In dieser Ausstellung wird auch von ihr ausschließlich Malerei gezeigt. „Die Malerei, beginnend mit dem Jahr 2013 bis heute greift zurück auf eine Serie von Aquarellen, die in BAs Abschiedsphase von Ägypten in Kairo und auch in Stuttgart entstanden sind. …. Das orientalische Licht kann man nie vergessen. Farb- und Formkontraste und Spannungsfelder auf verschiedenen Ebenen entstehen. Ein Schwebezustand, der beunruhigt.“ (Auszug aus einem Text von Dr. Gudrun Selz)

 

Kerstin Schaefer

Kerstin Schaefer ist Malerin. Vor allen Dingen. Sie arbeitet synästhetisch, behält aber immer den Raum und Umraum im gestalterischen Blick und inszeniert ihre Arbeiten so in den räumlichen Kontexten, dass sich möglichst spannende, hinterfragende und vielschichtige Dialoge entwickeln, in die die Betrachter eintauchen können, um sich darin zu positionieren und zu reflektieren, um den „Raum hinter den Dingen“ zu betreten. In dieser Ausstellung zeigt Schaefer assoziative Malerei, teils figürlich, teils ungegenständlich, intensiver grafischer und starkfarbiger Gestus spielen eine Rolle. Es geht um Energie. Viel Energie. Gute Energie!

 

Isolde Kapp

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Der Anlass ist außerhalb; dann ist nur noch die Fläche wichtig, die Möglichkeiten und Mittel der Malerei und Farbe.Temperamalerei, Ölmalerei, kleine bis sehr große Formate

CV - 1952 in Bremerhaven geboren aufgewachsen in Calw und Göppingen - 1971-1974 Studium der Philosophie, Theologie und Germanistik in Mainz und Wien - 1974 -1984 Studium der Malerei an der Kunstakademie Stuttgart -  1985 Atelierstipendium der Stadt Göppingen - 1986 Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg - 1986-2000 in Köln tätig - Seit 2000: lebt und arbeitet in Göppingen

 

Christa Munkert

„HIMMEL UND HÖLLE - GEHÜPFTE KINDHEIT

Tage voll Wärme, Langeweile, Geräusche von kurz tappenden Sohlen beim Hüpfen, Stimmengewirr, Tuscheln und Kichern; Tage voll buntgemusterter Sommerkleider, Sehnsüchte, Eifer formten in mir Farbteppiche. Nicht das Raster des Hüpfspiels, sondern die Farben der Gefühle sind lebendig geblieben, hallen in mir nach und zeigen sich jetzt in den Bildern.“

 

Vivien Sigmund erläutert

Das unbekannte Meisterwerk
Einführung von Vivien Sigmund

 

„Es ist nicht die Aufgabe der Kunst, die Natur zu kopieren, sondern sie auszudrücken!“ So lautet ein Zitat Honoré de Balzacs aus seiner dieser Ausstellung den Titel gebenden Erzählung „Das unbekannte Meisterwerk“. Das war 1831. 1826 hatte Joseph Nicéphore Nièpce die erste erfolgreich aufgenommene und erhaltene Fotografie der Welt erstellt und damit unwillentlich einen Abgesang auf das Medium der Malerei in Gang gesetzt, der im Grunde bis heute anhält. Auch aktuell stehen andere Medien höher im Kurs, neue, noch neuere und neuste Medien, deren Landkarten noch unerforschte Gebiete enthalten und die sich im Idealfall digital verbreiten lassen. Die Malerei zeigt sich davon indes reichlich unbeeindruckt. Mehrfach schon hat sie das ihr prophezeite Ende schlichtweg ignoriert. Totgesagte leben bekanntlich länger. Und so haben wir hier und heute vier malerische Positionen, die vitaler und leidenschaftlicher, unbedingter und kraftvoller, aber auch unterschiedlicher kaum sein könnten.

Christa Munkert

Können Sie sich noch an die Sommer ihrer Kindheit erinnern? Hell, bunt, flirrend, voller Kichern und Endlosigkeit?  Weil Jahre und Gefühle in der Rückschau zu einem Eindruck unscharfer Leichtigkeit zerfließen, kaum ein Ereignis materialisiert sich konkret, eher verschränken sich emotionale Schnipsel kaleidoskopartig zu immer neuen, nur leicht differenten Konstellationen. Ganz ähnlich funktionieren auch die Arbeiten von Christa Munkert: Mit Himmel und Hölle überschreibt sie ihre aktuelle Werkreihe und schenkt uns mit diesem Verweis auf das Hüpfspiel eine wundervolle Analogie zur Betrachtung von Kunst, die sich andeutungsweise auch formal in ihren Werken wiederfindet.

Da ist das vage architektonische Raster, Feld folgt auf Feld, man kann auch sagen Kästchen auf Kästchen, die Formen sind unregelmäßig, wirken atemlos hingeworfen, freihändig, beinahe anarchisch das Geometrische in all seiner noblen Akkuratesse unterwandernd. Die Felder sind voller Farbe. Eine Farbe für jedes Feld. Laut leuchtet das Orange, ansteckend fröhlich und ein klein bisschen irre. Ein waldiges, gedecktes Grün stemmt sich mit verschränkten Armen dagegen. Das Weiß in all seiner Reinheit ist nicht von dieser Welt und steht sublim über den Dingen. Laut und leise sind die Farben, dick und dünn, ruhig und eigensinnig.

Farben, genau wie das Leben selbst, indifferent und widerstreitend, nur scheinbar beiläufig, magisch in der Erinnerung, wechselhaft, je nach Blickwinkel des Betrachters. Vor allem aber gänzlich losgelöst von Wahrnehmungskonventionen, ein geistiges Hüpfspiel, das den Wind durch unsere – wenn wir ehrlich sind - eingestaubten Sehgewohnheiten hindurch fahren lässt.

Isolde Kapp

Die Bilder von Isolde Kapp sind selbst dann gegenstandslos, wenn sie es nicht sind. In einem ihrer Gemälde liegt, nein schwebt, eine Figur wie eine polizeiliche Kreidezeichnung im Raum, der eigentlich eine Fläche ist. Mit „Blaues Unglück“ ist das Werk betitelt. Das ist erzählerisch, auch dank des Titels, man will die Formen einordnen in ein Bild, das abbildet, aber es will nicht passen. Als Erzählstück ist das Bild nicht konzipiert, was sich auf den Bildträgern ausbreitet ist Malerei. Es geht um die Farbe, die Fläche, die Form, den Rhythmus, die malerischen Mittel, die sich zu vielstimmigen Tableaus zusammenfügen.

Die Bildentstehung ist ein Prozess, das kann, darf man den Bilder ansehen. Die Künstlerin gesteht den malerischen Mitteln Eigengesetzlichkeiten zu. Der Malakt ist ein wechselseitiges Annähern, ein Austarieren zwischen dem Eigensinn der Farbe und dem Formwillen der Künstlerin. Die Farbe ist der Hauptakteur, doch eins ums andere Mal schleichen sich formale Bezüge ins Bild, zeichenhafte Gebilde, Signifikanten ohne Signifikat, die auf nichts verweisen, als auf die Fläche und die doch einen Raum öffnen für Assoziationen.

Man kann es nicht anders formulieren, Isolde Kapp ist eine Poetin. In Sätzen verschränkt sie Intellektuelles mit Banalem, Sehen mit Denken, die Kunst mit dem Leben, alles fließt wie ein surreal anmutender Bewusstseinsstrom rhythmisch aufs Papier, welthaltig, hintergründig und es fließt in die Malerei, nein, es ist die Malerei. Hinter ihrer aufs Minimale reduzierten Haut pulsiert das Leben in all seiner wundervollen Widersprüchlichkeit und sinnsuchenden Möglichkeitenform.

Barbara Armbruster

Die Bilder von Barbara Armbruster schwingen wie leise, tiefe Töne, sanft, unaufdringlich, aber vernehmlich, lange nachhallend im Inneren. Sie lassen einen mit dem Gefühl zurück, elektrisiert zu sein von einem Gedanken, den man indes niemals ganz zu fassen bekommt. Einerseits sind es die Farben, die regelrecht vibrieren, da ist dieses sanft gedeckte Bunt, daneben, darüber ein beinahe phosphoreszierendes sandfarbenes Leuchten, deren Kontrast eine so zwingend leichtfüßige Resonanz erzeugt. Andererseits pendeln die Gemälde motivisch in einer seltsam fremden Vertrautheit zwischen zwei verschiedenen Welten, zwischen Orient und Okzident. Man blickt mit Augen, die näher sind als die eigenen auf das Ferne.

Manchmal scheint es, als wolle allein die Farbe, allein das so wesenhafte Licht auf die ferne Fremde verweisen, die so fremd für die Künstlerin gar nicht ist. Sie lebte lange Jahre in Kairo und Stuttgart, bei der Abreise aus Ägypten fertigte sie Aquarelle an, auf denen ihre Gemälde bis heute fußen. Selten ist der Blick so einfühlsam wie zu Zeiten des Abschieds.

Formen überziehen das Bild, floral, ornamental, kenntlich bis verrätselt. Sie bilden mit der Farbe einen Raum aus Licht, Leere und Melancholie, in dem sich der Betrachter tastend annähert an die dingliche und poetische Erfahrung eines anderen Kulturkreises. Unausgesprochen schweben die Fragen nach Identität, nach der Verwurzelung des Seins in seiner Umgebung, nach den konstituierenden Elementen einer Kultur über den atmosphärischen Bildgefügen.

Kerstin Schaefer

Die Arbeiten von Kerstin Schaefer wirken sämtlich, als wären sie mitten in einer Verwandlung begriffen. Ihnen haftet etwas Unfertiges an, so als wäre ihr Erscheinen nicht für die Ewigkeit, sondern als hätte sie jemand für einen Notfall aus dem Bett geholt. Roh und kraftvoll springen sie den Betrachter an, nur um gleich darauf leise hinter sich selbst zu verschwinden. Sie sind hochenergetisch,  in ihrer Unverstelltheit erstaunlich authentisch, aber von einer zurückhaltenden Höflichkeit durchdrungen. Man kann es auch so sagen, sie halten mit ihrer Präsenz nicht hinter dem Berg, mit ihrer Botschaft aber durchaus.

Das Motivvokabular ist dabei äußerst vielfältig. Rotzige Übertragungen von Dingen auf die Fläche, Textbotschaften, wilde Überlagerungen, totemartige Zeichenbilder, Bienenwaben, immer wieder Bienenwaben. Wie ein rein malerisches Raster überzieht deren Hexagonstruktur die Bildträger, jede Wabe schillert in einer leicht anderen Farbe. Sie sind verdeckelt und halten ihre eigentlichen Schätze –  die Pollen?, die Antworten?, die Frage?, das Wesentliche? – hinter sich selbst verborgen. Analog zur Kunst von Kerstin Schaefer selbst.

Mit ihren Malereien schafft die Künstlerin raumbezogene Installationen, die einen auf gänzlich unglamouröse Art und Weise verzaubern. Um was es der Künstlerin geht, ist jenes ungreifbare „Hinter-den-Dingen“, das sie durch eine wild bebende Verknüpfung magisch konnotierter, energetisch aufgeladener und verspielt narrativer Bilder und Objekte gleichsam zu beschwören sucht. Dadurch öffnet sich ein imaginativer Raum, in dem alles kann, aber nichts muss.

Fazit


Sie sehen, wir haben es hier mit einer großen Spannbreite malerischer Herangehensweisen zu tun.

Allen gemein ist, dass sie etwas beleuchten, was nicht einmal ansatzweise sichtbar ist.

Die Malerei tastet sich mutig ins Dunkle vor.

Tun sie es ihr nach.
Ich wünsche viel Erhellung".

© Vivien Sigmund