Little Districts in Stuttgart

Rauchzeichen und Tropfen
J. Franke im Gespräch
Geneigte Betrachter
D. Gindra mit Besuchern

Jens Franke bietet einen neuen Blick auf Stuttgart.

Jens Franke beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit Ereignissen,

bei denen der Zufall eine entscheidende Rolle spielt.

Für die Ausstellung "Little Districts" werden vertraute Orte

Stuttgarts zur Bühne für das Mysteriöse, das Verborgene und das

Unentdeckte, das sich hinter der vielschichtigen Oberfläche verbirgt.

Die Bilder spielen mit der Wechselwirkung zwischen den Menschen, der

sie umgebenden Architektur und dem Einfluss des Zufalls. 

Jens Franke ist ein Stuttgarter Designer und Fotograf.

Als Designer reizt ihn die Suche nach schlichter Einfachheit in komplexen

Systemen. Als Fotograf filtert er aus dem oft chaotischen

Großstadtgewimmel Harmonien heraus in denen die menschlichen Akteure

mit ihrer Umgebung im Einklang sind. Mit seine Arbeiten möchte er den

Menschen über seine Bilder eine Welt zeigen, an der sie sonst nur eilig

vorüber gehen. 

Die Bilder in “Little District” sind eine fotografische Liebeserklärung

an die Stadt, das Licht und die Menschen.

"Little Districts“ erzählt von flüchtigen Momenten von Glück,

Traurigkeit, der Freude, vom Warten, von Eile und von Einsamkeit.

 

Flüchtigen Momente von Glück, Traurigkeit, Freude, Warten.

Die Eröffnung fand am Freitag, den 28.02.2014.

Die Ausstellung endet am Freitag, den 28.03.2014. 

Geöffnet ist dienstags bis sonnabends von 15.00 bis 19.00 Uhr.

 

Weitere Eindrücke der Arbeiten von Jens Franke können

Sie sich hier verschaffen: www.spurenvonlicht.de


Wie hat er das nur hinbekommen?
Romantik vor und an der Wand
U. Gsell begrüßt die Gäste

Mit den Worten von Joe Bauer

Wie sag ich's dem Flaneur?
J. Bauer in Aktion.

J. Bauer bereicherte die Eröffnung mit folgenden Worten: 

"Dieser Ort, der Schauplatz der Ausstellung  

„Little Districts“ mit den Arbeiten von Jens Franke,

war für mich ein Grund, heute Abend hier ein paar Gedanken

vorzutragen.

Ich kannte Jens Franke bis vor wenigen Wochen nicht,

wir haben uns dann im Brunnenwirt am Leonhardsplatz

zum Kennlernen getroffen, also direkt in der bunten,

in der fast urbanen Nachbarschaft des Kunstbezirks.

Schnell stellte sich heraus, dass er als Fotograf etwas

Ähnliches macht wie ich als Zeitungskolumnist.

Jens Franke geht in der Stadt herum und fotografiert Dinge

und Menschen, die ihm auffallen, die ihn neugierig machen. 

Unsereins geht herum, kritzelt etwas in sein kleines

Notizbuch und macht mit seinem Taschentelefon 

Schnappschüsse, allerdings nur zur besseren Erinnerung.

Und nicht etwa, weil ich denke, diese Abbildungen hätten

etwas mit Fotografieren zu tun.

Der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt hat gesagt:

„Jeder kann knipsen. Auch ein Automat.

Aber nicht jeder kann beobachten.“

Heute, im Digital-Zeitalter, hat dieser Satz viel mehr

Bedeutung als zu Dürrenmatts Zeiten, als nur analog

fotografiert wurde, jeder also wenigsten ein paar

Grundbegriffe einer Technik beherrschen musste.  

Die professionelle Fotografie – sofern sie diesen Namen

im Sinne einer Berufsausübung oder einer echten Berufung

verdient – hat es heute ungemein schwer.

Wir sind umgeben von Bildererzeugern aller Art,

darunter Knipsern der übelsten Sorte.

Wir sind umzingelt von Kindern und Vätern, von

Jugendlichen und Großmüttern, die bei jeder unpassenden

Gelegenheit ihre Smartphones und Fotoapparate ziehen,

um etwas abzulichten, festzuhalten und zu verbreiten,

ohne die Dinge in irgendeinem schöpferischen Sinne zu

beleuchten. 

Es gibt Momente, da gehen einem diese Menschen mächtig

auf die Nerven, bei Konzerten oder ähnlichen Darbietungen,

wenn die Sucht-Knipser ihre Geräte in die Luft halten und

die Atmosphäre und die Konzentration stören, um via

Facebook mitzuteilen, wo sie gerade sind.

Diese hirnlosen Event-Rituale drängen das Ereignis

an sich in den Hintergrund, die Kunst, die Aufführung

werden unwichtig.

Fotos in sozialen Netzwerken zu posten, erscheint immer

öfter als das entscheidende Motiv, eine Veranstaltung zu

besuchen, ohne ihre Darbietung gebührend wahrzunehmen oder

gar mit Respekt zu würdigen. 

Über solche Entwicklungen müssen wir uns nicht ereifern,

sie gehören zum Leben, und sie stören eben, so wie uns der

Popcorn-Gestank und das Knistern der Fresstüten im Kino in

Rage bringt.

Deshalb gibt es trotzdem gute Filme, die nur in einem

Lichtspieltheater funktionieren – und auf einem

Bildschirm ihre Qualität verlieren wie ein Vinyl-Song auf

Youtube. 

Der Bildermacher Jens Franke, 

meine Damen und Herren,

arbeitet nicht nur in Gedanken abseits der Popcorn-Kultur.

Er hat Design studiert, also sein Handwerk gelernt,

und er hatte das Glück, auch eine Weile fern seiner

Heimat zu leben, beispielsweise in Brasilien.

In fremder Umgebung justiert der halbwegs aufgeweckte

Mensch seine Sensoren, er wird aufmerksam, 

wachsam gegenüber sich und allem anderen.

Als Designer weiß Jens Franke, um was es geht bei einem

Foto:

etwa um die Raumaufteilung, um die Bildstruktur.

Das ist eine handwerkliche Voraussetzung, um etwas

Vernünftiges zu fertigen. 

Der Begriff Handwerklichkeit spielt keine große Rolle

mehr, seit es Gewohnheit geworden ist, 

Allerweltsprodukte und ihre angeblich kreativen Macher als

Kunst zu handeln.

In den meisten Fällen ist das Unsinn.

Warum sollte sich einer, der Schlagertexte nachplärrt,

oder einer, der auf Anweisung seines Dirigenten seine

Geige spielt, als Künstler fühlen.

Nicht jeder macht schon deshalb Kunst, weil ihn der liebe

Gott mit etwas Talent zum Malen, Fotografieren oder

Gitarrespielen ausgestattet hat.

Kunst erfordert eine Idee, eine gewisse Radikalität,

also eine Haltung, aber darüber müssen wir hier nicht

reden. 

Einer wie Jens Franke besitzt eine gesunde Leidenschaft,

er hat eine Mission, aber keine, mit denen er jemanden

belehren will.

Das Wichtigste, was ein Mensch besitzen muss, der anderen

etwas mitteilen will, ist eine weitgehende verloren

gegangene Eigenschaft, die dem Menschen eigentlich

angeboren ist. Man nennt sie Neugier.

Der Fotograf Jens Franke ist neugierig.

Er geht herum, schaut sich um, schärft buchstäblich

seinen Blick. Wenn er dann noch etwas Glück hat,

und das Glück ist in diesem Fall keine Hure,

die man bezahlen kann, dann wird er fündig.

Er hält Augenblicke fest, Szenen, die anderen entgehen,

weil sie nicht beobachten können, weil sie nicht neugierig

sind. 

Im vergangenen Jahr, das habe ich in der Zeitung gelesen,

hat Jens Franke an einer Ausstellung mit dem Titel

„Eckensteher“ teilgenommen und gesagt, eigentlich sei er

kein Eckensteher, er stehe ja nicht teilnahmslos irgendwo

herum.  

Andererseits:

Der Eckensteher ist nur ein anderes Wort für den

Müßiggänger, so wie der Penner, der Herumtreiber,

der Nichtsnutz als Protagonisten für den Müßiggang

herhalten müssen. 

Damit sind wir bei einem grundlegenden Missverständnis.

Der Müßiggänger ist heute eine Antwort auf die

Digitalisierung, auf das Leben im Netz.

So wie früher der Müßiggang die Antwort auf die

neue Hektik der Großstädte war.

Der Müßiggänger ist ein Entschleuniger,

ein musikalisch geprägter Pauseneinhalter,

er ist der wahre Hingucker.

Der große literarische Berliner Flaneur Franz Hessel

schrieb anfangs des 20. Jahrhunderts in seinem Text

"Der Verdächtige":

"Langsam durch belebte Straßen zu gehen,

ist ein besonderes Vergnügen.

Man wird überspült von der Eile der andern,

es ist ein Bad in der Brandung.

Aber meine lieben Berliner Mitbürger

machen es einem nicht leicht,

wenn man ihnen auch noch so geschickt ausbiegt.

Ich bekomme immer misstrauische Blicke ab,

wenn ich versuche, zwischen den Geschäftigen

zu flanieren. Ich glaube, man hält mich für einen

Taschendieb."

               

Sieht man heute den Flaneur wenn nicht als Taschendieb,

so doch als Tagedieb.

Diese Verachtung hat mit dem Verlust der Muße zu tun,

auch mit der Ahnungslosigkeit gegenüber der Psychologie

von Orten, den Brücken zur Vergangenheit,

die man aus Profitgründen zerstört.

Selbst der halbwegs erfahrene Spaziergänger geht

leider zu selten so zweckfrei durch die Stadt,

wie es die Philosophie des Müßiggangs verlangt.

Ist der Stadtwanderer offenen Auges und ohne Ohrenstöpsel

auf Tour, gerät er aus der digitalen Welt hinein in die

Geschichte einer Stadt.

Er erkennt, wie das Licht eine Stadt verändert,

er schaut an Häusern weiter hinauf als nur bis zum oberen

Ende von Haustüren und Schaufenstern und blickt in eine

neue Stadt. Dieses Glück widerfährt dem Lustwanderer

nicht, weil er mit einem Reiseführer in der

Hand historische Gebäude oder Plätze

identifiziert. Es ist die Neugier, die ihn treibt und

steuert.

So gesehen ist Jens Franke ein Detektiv. Keiner, der

ermittelt, um einen Fall aufzudecken, sondern einer,

der staunen kann über das, was er sieht –

und es weitergibt zum Betrachten.

Auch der Betrachter wird so zum Ermittler.

Jens Franke experimentiert beim Ermitteln,

bereit sich von stilistischen Zwängen, 

er fotografiert digital, analog, in Farbe,

in Schwarz-Weiß.

Er sagt, er beschäftige sich, frei nach Paul Austers

Geschichten-Sammlung „Das rote Notizbuch“,

mit Ereignissen, „bei denen der Zufall eine entscheidende

Rolle“ spiele.

Seine Hauptdarsteller in “Little District”, fügt er hinzu,

erzählten Geschichten von Glück, von Traurigkeit,

der Freude, vom Warten, von Eile, von Einsamkeit.

Dreh und Angelpunkt für diese Serie von Straßenfotografien

bilde der Stuttgarter Innenstadtbereich. 

Gestolpert bin ich bei diesen Sätzen nur über das Wort

„Innenstadtbereich“.

Stuttgart hat keine richtige Innenstadt, nur ein von

Straßen zerklüftetes Scheinzentrum mit einer Glas- und

Betonbaracke namens Schwabenzentrum.

Wir hier, meine Damen und Herren,

befinden uns im historischen Kern der Stadt,

in der vergessenen City, die man

– nur einen Steinwurf vom Rathaus entfernt –

verkommen und verwahrlosen lässt –

keinerlei Rücksicht nimmt auf die historische Architektur

im Leonhardsviertel, die bis ins 17. Jahrhundert

zurückreicht.

Was ich hier kritisiere, liefert keine politischen Motive,

keinen Stoff für die Fotografen-Arbeit von Jens Franke.

Er ist kein Ankläger.

Als Herumgeher macht er beiläufig, mit Hilfe des Zufalls,

mit Geduld und Hartnäckigkeit darauf aufmerksam,

was es es gibt in der Stadt.

Gedanken darüber darf sich anschließend der Betrachter

machen, sofern er ein Hirn hat. 

Jedes Bild erzählt eine Geschichte, hat für den Betrachter

eine individuelle Botschaft, und jeder findet eine

Geschichte, wenn er bereit ist, ein Bild zu lesen.

Flanieren, hat Franz Hessel gesagt,

ist „das Lesen einer Straße mit den Augen“.

Der Fotograf hat neben den eigenen auch technische Augen,

die das Gelesene und die Zeit festhalten.

Der Fotograf erzählt und formuliert die Poesie der Straße

auf seine Art, nämlich mit seiner Bildsprache.

Die qualitative Bewertung von Jens Frankes Bildsprache

überlasse ich anderen. Ich sehe, dass unser Bild-

Handwerker für mein Verständnis etwas richtig macht:

Er setzt nicht auf die Floskel „Konzept“,

er sieht das Leben, erkennt es in Dingen, in Szenen,

in Menschen. Etwas bekommt buchstäblich ein Gesicht,

und so kommen auch die zur Geltung, die man mit

politischer Arroganz und wirtschaftlicher Gier übersieht.

So wie jene Menschen, die in diesem Viertel hier nicht

etwa dem Verbrechen nachgehen, sondern hier leben und

gute Arbeit machen. Als Handwerker, Kaufleute, Musiker,

Wirte. In den Situation  des  heutigen Neoliberalismus,

wo die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter

auseinandergeht, halte ich es für wichtig,

dass einer etwas macht wie die Bilder,

die wir hier sehen.  

Dass ein Bürger überhaupt etwas tut:

auch im Kleinen, in den Stadtteilen, und damit sind wir

mitten bei den „little districts“, in den kleinen

Welten und Subkulturen der Stadt.

Wer genau hinschaut, entdeckt vielleicht nicht gleich

seine verdammt Pflicht, etwas zu tun, etwas zu ändern.

Aber er entdeckt etwas, das er zuvor nicht gesehen hat.

Vielleicht setzt er sich in Bewegung.

Es ist bewiesen, dass das Herumgehen das Hirn um ein

Vielfaches mehr anregt als das Herumsitzen. Und ich

verspreche Ihnen, meine Damen und Herren, es ist ein

gutes Gefühl, sein Arbeit als seiner eigener

Herumstiefelknecht zu erledigen.

Vom dem großen amerikanischen Stadtwanderer,

Schriftsteller, Filmemacher Paul Auster haben wir

bereits gehört; er war eine Art Anstifter für den

Fotografen Jens Franke.

In Paul Austers jüngstem auf Deutsch erschienen Buch

„Winterjournal“ heißt es kurz vor Schluss:

„Um tun zu können, was du tust, musst du gehen.

Gehen trägt dir die Worte zu, erlaubt dir den Rhythmus

der Worte zu hören, während du sie in deinem Kopf

schreibst. Einen Fuß nach vorn, dann den anderen nach

vorn, der Doppelschlag deines Herzens. Zwei Augen,

zwei Ohren, zwei Arme, zwei Beine, zwei Füße. Dies und

dann das.

Das, und dann dies. Schreiben beginnt im Körper ...“

Ich will nicht vermessen sein:

Vermutlich aber beginnt auch für Jens Franke

das Bildermachen, das Fotografien im Körper.

Und jetzt halte ich es mit Paul Auster:

Um tun zu können, was du tust, musst du gehen. 

Noch einen schönen Abend, meine Damen und Herren.

Vielen Dank." 

 

 

 

Und das sagt die Presse

Stuttgarter Zeitung - 14.03.14

Jede Menge Pixel