Seezone - der bodensee stellt aus

Am 9. April 2016 ging es los

Nach Begrüßung durch P. Hoffmann für den Förderkreis und J. Stoerl Strienz für den VBKW führte der Kurator M. Kettel in die Ausstellung ein. Kettel zu lauschen, war ein Genuss - seine Worte sind in Kürze hier zu lesen.

Die Ausstellung läuft bis zum 14. Mai 2016 und ist geöffnet

dienstags bis sonnabends 

von 15.oo bis 19.oo Uhr - nicht an Feiertagen.

Sonderführungen auf Anfrage.

"SEEZONE"

mit

Beate  Bitterwolf,
Ulli Blomeier-Zillich
Brigitte Fuchs, 
Katrin Günther
Gabriele Janker-Dilger
Christiane Lehmann
Angèle Ruchti
Lore Unger
Christian Scheel, 
Martin Schubert,
MaRo Siegl
Siegi Treuter
und
Hermann Waibel.

 

Die Einführung

Einführung von Marcus Kettel zur Vernissage der VBKW Ausstellung SEEZONE am 9. April 2016 im KUNSTBEZIRK Stuttgart

Guten Abend meine Damen und Herren, liebe Kunstfreunde, liebe Künstlerinnen und Künstler!

Ich begrüße Sie recht herzlich zur Vernissage der Ausstellung „Seezone“.

Vielen Dank an dieser Stellen an Frau Stoerl Strienz und Dr. Hoffmann für die freundlichen und informativen Auftaktworte sowie an Annette Haug für ihre administrative Unterstützung.

Sie sehen im KUNSTBEZIRK in dieser Ausstellung zumeist Doppel-Beiträge zum übergeordneten Thema Bodenseeraum, wobei Anhaltspunkte für die Bewerbung zu dieser Ausstellung waren, sowohl jeweils eine zentrale oder aktuelle Arbeit, als auch eine spezielle Arbeit zum Bodensee-Raum einzureichen.

Dabei entstand ein facettenreiches Kaleidoskop unterschiedlichster Medien und Ausdrucksformen, die nicht nur unsere gewohnten Vorstellungen von Natur, Kultur, Zivilisation, Geschichte und Territorialität hinterfragen, sondern auch regionale und globale Aspekte mit aktuellem Bezug vorstellen.

Bis ins 19. Jahrhundert galt der Bodensee (als drittgrößter See Europas, nach dem Genfer See und Plattensee) als naturbelassenes Gewässer, dessen Uferteile durch Rodungen und Bebauungen bis heute stark verändert wurden.

Diese Veränderungsprozesse spielen in der Ausstellung ebenso in künstlerischer Form eine Rolle, wie besondere Eigenschaften und ganz persönliche Eindrücke.

Um Sie zu Beginn gleich professionell auf das Thema einzustimmen, möchte ich an dieser Stelle meinen ehemaligen Mentor Jan Hoet - künstlerischer Leiter der documenta IX und Museumsgründer des S.M.A.K. im belgischen Gent und des MARTa in Herford- von seiner letzten Ausstellung „Die See“, die er in der flämischen Küstenstadt Ostende vor 2 Jahren kuratierte, zitieren:

„Die See war schon immer eine Inspirationsquelle für Künstler. ...Licht und Wasser ändern fortwährend ihre Farben, die Stimmung kann von Stunde zu Stunde wechseln...“... In dieser Ausstellung wurde beeindruckend veranschaulicht, wie Künstler aus der Zeit Gustav Courbets (als einer der Hauptvertreter der „Realistischen Malerei“ im 19. Jahrhundert) bis in die Gegenwart hinein diese Eindrücke gestalterisch umgesetzt haben.

Unter historischer Betrachtung der Bildenden Kunst aus dem Bodenseeraum im 20. Jahrhundert, wären hier vor allem Künstler der neuen Sachlichkeit wie Otto Dix, Adolf Dietrich, Max Ackermann und Erich Heckel zu nennen, die auch aus Gründen des besonderen Lichts und der Farbwirkungen des Wassers ihren Wohnsitz an den Bodensee legten und diesen in mehreren -Ihnen sicherlich geläufigen Motiven- abbildeten.

Dieses Interesse für die besondere Untersuchung des Lichts, intensivierte sich nach der impressionistischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis ins 21. Jahrhundert hinein vor allem in der Konkreten Kunst, von denen wir einen der weltweit wichtigsten Vertreter, Prof. Hermann Waibel, hier mit zwei Arbeiten zeigen.

Um Sie auch geschmacklich auf den Bodensee einzustellen, möchte ich auf die „Apfelkisten- Installation“ von MaRo Sigl am Eingangsbereich hinweisen, die Sie vielleicht in optischer Hinsicht schon bewusst oder geruchlich eher unbewußt wahrgenommen haben.Gerne dürfen Sie gleich einen dieser „Bodenseeäpfel“ nehmen und während meiner Rede verspeisen, um das interessante Thema nicht nur akustisch und visuell aufzunehmen, sondern sich diesem auch parallel zu meiner Einführung, geschmacklich anzunähern: Greifen Sie zu und beißen Sie in den „Kultur-Apfel“!

Wussten Sie übrigens, dass fast jeder dritte deutsche Apfel vom Bodensee stammt?

Ich möchte nun alle Beteiligten mit ihren jeweiligen Arbeiten kurz in alphabetischer Reihenfolge vorstellen, wobei ich aber aus Zeitgründen dieses Mal auf biografische Daten verzichte, denn diese können Sie in aller Ruhe auf den jeweiligen Websiten, die auf der Einladungskarte aufgeführt sind, nachlesen:

Beate Bitterwolf präsentiert uns hier zwei außergewöhnlich-sensible Acryl-Malereien. Für die Künstlerin dient vor allem die Natur als unerschöpfliche Inspirationsquelle ihrer Arbeit:

In ihrem zentralen Beitrag mit dem Titel „Horizonte – kein Bleiben nirgends“ von 2015 verwendet sie Pigmente und Sand auf Leinwand. Wie es der Titel schon andeutet, thematisiert sie hier „die Ferne“, indem sie bildnerisch abstrakt verhandelt, wie auf einer Flucht die Landschaft durch immer weitere Horizonte erfahren wird. In Abgrenzung zu Ihrem bipolaren Interesse mit dem Thema „nah und fern“, verwendet sie für “die Ferne“ eine eher kühle Farbigkeit und kristalline Formensprache: So finden wir in ihrem Bild hier Berge, Geröll und Gletscher, welche das Bodenseebecken erschaffen haben.

Bei Ihrer speziellen, größeren Arbeit zur „Bodensee-Region“ mit dem Titel „See – Leben – Raum“, in der sie zusätzlich Kreide einsetzt, erzeugt sie einerseits mit viel Farbigkeit und Farbübergängen ein faszinierendes Stimmungsbild, thematisiert aber im doppelten Sinne auch „das Wässrige“, mittels filigran-dargestellter Farbstrukturen.

Wir finden hier die verschieden Aspekte der Geschichte des Bodensees in verdichteten und entgrenzenden Farbverläufen von leuchtenden bis dunklen Farbklang, von türkis über blau zu schwarz und weiß. Unterschiedlichen Nuancen in der sich Bergketten, Seespiegelungen und Insellandschaften vermischen, aber auch reale Bezüge durchscheinen lassen:

Wenn man ganz genau hinschaut, erkennt man auch die Andeutung eines Hausgerüsts und eines nußschalenförmigen Bootes, prall gefüllt mit Menschen: Ist Letzteres evtl. ein Verweis auf irische Mönche, die vor Jahrhunderten die Christliche Besiedlung des Bodensees eingeleitet haben oder ist dies gar mittels einer Kontext-Verschiebung ein Hinweis auf die Dissonanzen der allgegenwärtigen Flüchtlingsproblematik innerhalb ihrer bezaubernden Farbsymphonie?

Ulli Blomeier - Zillich, deren Arbeiten Sie in dem benachbarten Ausstellungsflügel (links vom Durchgang) sehen, dürfte einigen unter Ihnen sicherlich bekannt sein durch ihre lyrisch- abstrakten Serien. Sie zeigt hier im KUNSTBEZIRK aber eher monochrom anmutende „Stimmungsbilder“ in Acryl mit den Titeln „Morgenstille“ (auf der linken Seite) und „Nachtzeit“ (rechts daneben).

Im Unterschied zu Beate Bitterwolf, liegt bei ihr die atmosphärische Verdichtung jedoch nicht in der Dynamik, sondern in Zuständen des Übergangs (zwischen Tag und Nacht, Morgen und Abend, See und Horizont), wobei auf den ersten Blick fast keine naturalistischen Elemente zu entdecken sind.

Wenn man diese Bilder aber länger anschaut, erkennt man jedoch die Andeutung eines Horizonts und erfährt in den Übereinander-Schichtungen eine gewisse meditative Tiefenwirkung, die durch viele wiederholte Arbeitsschritte mit Farbaufträgen von dünnflüssiger Lasur entstanden ist. Während des Malprozesses lässt die Künstlerin dabei der herunterfließenden Flüssigkeit die Möglichkeit neue Wege zu suchen, was diese enorme Spannung innerhalb des nur vordergründig-Monochromen erzeugt.

Dies ganz im Gegensatz auch zu den rein monochrom-grauen Bildern von Gerhard Richter, der sich eher mittels der Farbe grau auf die Suche begab, die für ihn mögliche Entsprechung zur Indifferenz zu finden.

In Parallelität zu Richters Farbuntersuchungen in seinen spektralen Serien, könnte man aber die Arbeiten an den beiden gegenüberliegenden Säulen mit dem Titel „Farben des Sees“ betrachten, die in jeweils 6 seriellen Abstufung auf differenzierte Weise den Facettenreichtum, sowie die wechselnden Farben und Strukturen veranschaulichen, welche die Faszination dieses „lebendigen Gewässers“ für die Künstlerin ausmachen.

Brigitte Fuchs, deren Arbeiten Sie in der hinteren Koje nebenan sehen, zeigt uns 3 außergewöhnliche Textilarbeiten mit Blattgold.

Die Künstlerin studierte zunächst Kunstgeschichte, machte parallel dazu eine Ausbildung als Landwirtschaftlich-technische Assistentin in Göttingen und anschließend eine Ausbildung zur T extilrestaurierung.

Brigitte Fuchs restaurierte zuerst Gemälde und Holzskulpturen, bevor sie begann, sich intensiv mit der Bildweberei zu beschäftigen. In ihren handgenähten Webe-Arbeiten verarbeitet sie unterschiedliche Materialien wie Säcke, Flicken, Seide, Leinengarn und verwebt thermoplastisches Gewebe mit Blattgold. Dabei verwendet sie 100 Jahre alten Gebrauchstextilien, die zerstört und abgenutzt wirken, und gibt ihnen ein neues Gewand, wobei sie gleichzeitig eine neuartige, ästhetische Archäologie entwickelt. Denn für die Künstlerin ist es besonders wichtig, dass die Spuren des alten Gewebes noch lesbar bleiben. Ihre zentrale Arbeit „Haus mit vielen Wohnungen“ aus dem Jahre 2013 verkörpert für sie „Freiräume des Atmens, Augenblicke der Einkehr und ermöglicht Stunden der Geborgenheit“ und soll symbolisch für die gesamte Menschheit gelten. Ihr Blick zielt dabei auf eine universelle Ganzheitlichkeit ab, denn für die Künstlerin fungieren ihre Gewebe metaphorisch auch als historisch-kulturelles Netzwerke!

In ihrer Arbeit „Die Welle“ zum Bodenseeraum, steht der Titel zusätzlich als Metapher für Bewegung und Blickveränderung. In der Weiteren mit dem Titel „Blick nach innen – Blick nach außen“, für die Selbstreflexion des eigenen Bewusstseins.

Katrin Günther, deren aktuelle, zentrale Bodenseearbeit Sie hinter mir sehen,

präsentiert uns in ihrer großformatigen Handzeichnung, den dritten Teil ihres apokalyptischen Landschaftsszenariums mit dem Titel „Am Boden ist der See“. Mittels strenger Linienführung in großer Präzision (einer Bau- oder Ingenieurszeichnung gleich), deutet ihre, in Tusche und Acryl auf Leinwand dargestellte, menschenleere Szene in zugespitzter Form eine dynamisch wirkende Untergangsphantasie mit großer Sogwirkung für den Betrachter an. Dies erreicht sie durch eine gezeichnete Perspektive mit systematisch gestaffelten Elementen.

Blickt man in der Kunstgeschichte zurück, gibt es außer den Architekturphantasien eines Giovanni Battista Piranesi aus dem 18. Jahrhundert mit seinen Kupferstichen oder Alfred Kubins skurrilen und surrealen Visionen aus dem letzten Jahrhundert, wenig Vergleichbares.

Unter ganz genauer Betrachtung, entdeckt man in Katrin Günthers filigraner Darstellung, eine weit über den Bildrand hinaus imaginierte synthetisch-geometrisch gestaffelte Welt mit umfallende Behausungen, die wie Strandhäuser aussehen, auch mehrstöckige Terrassenhäuser mit Aufzügen und Hafengebäude in Schieflage oder gar einen Swimmingpool, dessen Wasserzu- und Ablauf mit einem sich verzweigenden Kanal in einigen Verstrebungen endet: Steht dieser Pool metaphorisch für den Bodensee und der Kanal für den Rhein?

Ihr verschachteltes Panorama verdeutlicht beindruckend, wie der Mensch der Natur seinen Formwillen aufzwingt sowie sich deren Ressourcen zu Nutze macht.

Im Zusammenspiel mit dem Titel lässt dieses groteske Untergangsphantasma aber noch viele weitere konkreten Fragen aufkommen:

„Liegt etwa der Boden am See?“ – im Sinne von: repräsentiert der See sozusagen die Grundlage für unser ökologisches Gleichgewicht mit seinem lebensnotwendigen Element Wasser?

...oder... ist er vielleicht Ausgangspunkt auf der Skala eines metaphorischen Gradmessers für unsere Zivilisationsentwicklung?

...oder... ist gar die Seeregion um den Bodensee durch unsere Industrialisierung sprichwörtlich schon am Boden angekommen?

Durch die absurden und nahezu grenzenlosen Überspitzungen in kühler geometrischer Ästhetik, drängt sich unweigerlich die übergeordnete und konterkarierende Frage auf, wie lange diese Konstruktion so noch hält oder ob sie irgendwann in sich zusammenbricht? Wir wissen es nicht, so bleibt der Ausgang offen!

Bei Gabriele Janker-Dilger, deren beide Arbeiten Sie in der vorderen Koje links im gegenüberliegenden Raum sehen, kommen Materialien wie Drahtgeflechte, Aluminium, Baumwollstoff, Seile, Polyestertexturen, Acryl- und Textilfarben, Lacke, Fäden und Garne zum Einsatz, die sie durch Färbungen, Verklebungen und Vernähungen herstellt und die zumeist an vergrößerte Mikrostrukturen der Natur erinnern.

In ihrer aktuellen Arbeit mit dem Titel „Verschlungen“, führt uns die Künstlerin in physisch- reale Abgründe des Bodensees, indem sie die rauhe und nicht idyllische Seite des Sees in seiner Urgewalt und Unberechenbarkeit künstlerisch zum Thema macht:

Ausgangspunkt dieser Beschäftigung war ein persönlich dramatisch erlebter Segelausflug der Künstlerin, bei dem eine sich plötzlich ändernde Windsituation und Wetterlage für enorme und beängstigende Turbulenzen sorgte.

In diesem Wandobjekt verarbeitet die Künstlern zusätzlich alte Fischernetze und Schiffstaue.

Zusammenfassend könnte man hier festhalten, dass die Künstlerin sowohl auf ihre Faszination des wild bewegten Wassers anspielt, aber im gleichen Atemzug auch auf die Gefahr durch den See mit einem entstehenden Tiefensog des „Verschlungen-werden- könnens“ hinweist, denn laut Tatsachenberichten gibt es im See Regionen wie den „Teufelstisch“, wo immer wieder Menschen auf mysteriöse Weise im Wasser verschwinden.

In ihrer zentralen Relief-Arbeit an der danebenliegenden Wand mit dem Titel „Resonanzkörper“, verdeutlicht sie ihr besonderes Interesse für Bewegung auslösende Kräfte der Natur und schafft damit eine wunderbare inhaltliche Überleitung zur nachfolgenden Künstlerin.

Chrstiane Lehmanns Installation „labiles Gleichgewicht“ im Zentrum hier im Ausstellungsraum besteht aus drei wichtigen Elementen, die sich zirkulär aufeinander beziehen:

1. einem Holzgerüst eines 4 m alten Faltbootes mit Paddel

2. drei Containern aus transparenten, hellblauen Kunststoff, wobei einer drei Glasfische beinhaltet

und

3. einer Video-Animation mit einem Loop über das Essen von Fischeiern mit dem Titel „Kaviar“

Mit dieser mehrteiligen Installation hinterfragt Christiane Lehmann auf sensible Weise das labile Gleichgewicht zwischen Natur- und Zivilisation und spielt sowohl mit dem Holz-Gerüst, das auch an einen Fischskelett erinnern kann, als auch mit den Glasfischen im blau-

schimmernden Kunststoff-Container, der an artifizielles Wasser erinnern soll, auf eine vermehrt künstlich werdende Natur an.

So führen beispielsweise Reinigungsmaßnahmen zur Verbesserung der Trinkwasserqualität im Bodensee dazu, dass seit geraumer Zeit immer mehr Fischarten aussterben.

In ihrer Video-Arbeit „Kaviar“, überspitzt sie dieses ausbeuterische Verhalten des Menschen, indem sie auf dekadente Weise das gierige Essen von Fischeiern in einem Loop darstellt.

Christiane Lehmanns Gesamtinstallation, mit vielen bipolaren Aspekten, wirkt wie ein offenes Labor, das in einem provisorischen Modellsystem seismographisch untersucht, wie der Bodensee im Evolutionsprozess auf Einflüsse von außen reagiert.

Wohin wird das Gleichgewicht kippen?

Angèle Ruchti, deren beide Malereien Sie an den vorderen Säulen in der Koje rechts vorne sehen, beschäftigt sich in ihren empfindsamen Farberforschungen (zumeist Eitempera mit Pigmenten auf Leinwand gemalt) mit „fließend-formauflösenden Bildkompositionen“. Sowohl spannungsvoll, als auch harmonisch, lotet sie die Beziehungen zwischen hell und dunkel, Fläche und Form aus und untersucht Aspekte des Farbcharakters, des Farbakkords und der Farbkontraste während ihres Malprozesses.

Dabei dient ihr nicht nur Goethes Farbenlehre seit längerer Zeit als Inspirationsquelle, sondern seit einigen Jahren auch der Bodensee mit seiner besonderen Luft-, Wasser- und Lebensqualität.

So steht ihre zentralen Arbeit mit dem Titel „Auf und Ab“, repräsentativ für ihr gesamtes Schaffen, wobei das Element Luft für sie Leichtigkeit symbolisiert, wohingegen das Element Wasser für sie als bildformendes Element eingesetzt wird.

In ihrer kleineren Arbeit mit dem Titel „am See gegenüber“ zum Bodenseeraum, kann man ihre unterschiedlichen Empfindungen sehr gut bildlich nachvollziehen, denn man spürt beim Betrachten regelrecht die weite, ruhige Fläche, die sich auf die Arbeit auswirkt und ihre Sehnsucht nach einem Gegenüber verkörpert.

Insgesamt könnte man hier festhalten, dass sich Angèle Ruchti sowohl auf die Suche nach dem Wesen der Farbe, als auch nach dem Wesen des Bodensees begibt, um dessen Eigenleben noch intensiver ergründen zu können.

Martin Schubert, dessen Stele mit dem Titel „So nah und doch so fern – fern und doch nah“ Sie hier vor mir sehen, besteht aus salzglasiertem Steinzeug. Für seine spezielle Art der Herstellung von glasierten Keramikobjekten, ist er sicherlich vielen unter uns bekannt, wobei der Künstler dabei stets die traditionellen Grenzen zwischen angewandter und freier Kunst obsolet macht.

Für seine Arbeiten mit Ton verwendet er Material aus verschiedenen Gruben der einheimischen Umgebung. Grundlage für seine Produktionen mit salzglasierter Keramik ist meist ein hellbrennender, quarzreicher Steinzeugton oder ein Porzellan.

Dabei bewegt sich der Künstler während des Herstellungsprozesses mit seiner besonderen Technik stets in den Dimensionen von Raum und Zeit, in denen er auch die vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft genau austarieren muss.

In seiner speziell angefertigten Arbeit zum Bodenseeraum befragt seine sowohl nach vorn als auch zurückblickende Stele mit dem Titel „was wird“, die Zukunft des Bodenseeraums.

Auf der Rückseite der Stele weißt uns das Kerzenlicht in die „Black Box“ nebenan und führt uns in der Lichtinstallation auf einem Pfad zurück in der Geschichte:

Anhand von unterschiedlich behandelten und verarbeiteten Materialien auf 5 speziell bearbeiteten lichtbeleuchteten Aschekegeln, bewegen wir uns auf einer universellen Zeitreise, auf einer „nächtlichen Wanderung mit Seeblick“ wie der Künstler sie nennt: eine Reise von der Stein- über die Bronze-, Eisen-, Stahl- bis zur Aluminiumzeit. Am Ende dieser Reise finden wir dann seine repräsentativ leuchtende Doppel-Stele, bei der wir mit den „Göttinnen ins Gespräch“ treten können.

So führt uns Martin Schubert auf einer mythologischen Reise zurück zu den Ursprüngen der Bodensee-Entstehung, die in der Altsteinzeit noch völlig vom Rheingletscher bedeckt war.

Auf MaRo Siegls ersten, interaktiven Beitrag mit den Bodenseeäpfeln, bin ich ja zu Beginn meiner Rede schon eingegangen.

Nicht nur durch dieses allseits bekannte Lebensmittel aus der Bodenseeregion, sondern in sämtlichen hier präsentierten Arbeiten von MaRo Siegl, spielen sowohl dinglich-reale, als auch metaphorisch-abstrakte Bezüge zum Bodenseeraum eine Rolle.

So präsentiert sie uns hier in ihrem 5-teiligen Beitrag mit dem Titel „Spuren“, Frottagen von Bäumen und Wegen mittels Kohleschraffur, welche sie bei Ihren Spaziergängen im Bodenseeraum direkt von den Objekten entnimmt und uns in unmittelbarer Weise, Spuren und Zeichen aus dieser Region in poetischer-filigraner Form auf Japanpapier übermittelt.

In ihrer darauf anschließenden seriellen Arbeit (bestehend aus 25 Teilen) mit dem Titel „Uferzone“, rückt sie dem See noch ein Stück näher und appliziert auf den 16 quadratischen kleinen blauen Leinwänden der oberen Reihe gefundene Tonscherben, die sie direkt am Ufer des Bodensees gesammelt hat. Die grünen Leinwände darunter, symbolisieren im Gegensatz dazu die Vegetation an Land.

Mit ihrer abschließenden Arbeit „Reflexionen“, die Sie hier als transparenten Raumteiler vorne quer sehen, schließt sie ihren Kreislauf zum Bodenseeraum, wobei sie die verschiedenen Blaustufen des Bodenseewassers an sich thematisiert. Dies setzt die Künstlerin in Form von Pigmenten unterschiedlicher Blaustufen um, die in 7 Bahnen in Klarsichtfolien eingenäht sind.

Blau steht dabei sowohl für das Element Wasser, als auch für den Himmel, wobei die Künstlerin versucht, ihre besondere Faszination der glitzernden Oberfläche mittels der Folienpräsentation und den eingenähten Blaupigmenten einzufangen.

Hierzu sei anzumerken, dass das Wort „Blau“ vom „althochdeutschen Wort „blao“ kommt, was soviel wie schimmern und glänzend bedeutet.

Gleichzeitig soll die Transparenz und Leichtigkeit der Folien, die sich bei dem geringsten Luftzug bewegen, auch auf die sich bewegende Wasseroberfläche hinweisen.

Siegi Treuters drei, majestätisch-ruhende weiße Knäuel aus gehäkelter Polyethylenfolie, die wie überdimensionale Schneebälle wirken ganz vorne rechts im Eingangsbereich, sind Ihnen allen sicherlich gleich aufgefallen, als Sie den Ausstellungsraum des KUNSTBEZIRKs betraten.

Deren Geheimnis werde ich gleich lüften, aber zuerst möchte ich auf ihre spezielle Arbeit mit dem Titel „Gegend“, die 2016 entstanden ist, eingehen.

Diese besteht aus einer größeren Ölmalerei sowie aus 5 langgezogenen, separaten Teilen, welche Bezug nehmen zu unserem skalierten Denk- und Einteilungsmuster und das Thema „Gegend“ auch abstrakt als „Raster und Draufsicht“ symbolisieren sollen, um die Künstlerin hier im Wortlaut zu zitieren. Sowohl in den einzelnen Leisten, als auch im größeren Gemälde links daneben, sehen wir bunte Farben der Bodenseelandschaft überdeckt mit pointilierten, weißen Farbtupfern.

Siegi Treuter ist vielen sicher auch bekannt durch ihr „Atelierhaus“ in Bodmann- Ludwigshafen. Vom Ortsnamen Bodmann, leitet sich übrigens die deutsche Bezeichnung „Bodensee“ ab, der im frühen Mittelalter als „Bodmann-See“ bezeichnet wurde.

Ihr konzeptuelles und visionäres Landart-Projekt in Chistos-Dimensionen, hat zum Ziel, bei der nächsten Seegförne, was soviel bedeutet wie das Zufríeren des Bodensees, die aufgerollten Folienobjekte, die aus jeweils 7 km gehäkelter Polyethylenfolie bestehen, was in etwa zusammen der Distanz vom deutschen Ufer bei Friedrichshafen, zum schweizer Ufer bei Romannshorn, entspricht.

Bei der nächsten Seegfrörne, sollen dann die beiden Seiten verknüpft werden. Diese Idee geht übrigens auf ein Ereignis von 1963 zurück, bei dem es verschiedene Prozessionen auf dem zugefrorenen See gab und bsplsw. auch Heiligenfiguren zwischen der Schweiz und Deutschland ausgetauscht wurden. Alle weiteren historischen, inhaltlichen und finanziellen Details zum Projekt, können sie vorne in ihrem hervorragenden Dossier nachlesen.

Siegi Treuter präsentiert uns dieses Groß-Projekt, das auch im Bereich der Konzeptkunst anzusiedeln ist, als ihr zentrales Werk. Wenn Sie die Knäuel genau betrachtet haben, wird ihnen aufgefallen sein, dass die Künstlerin auf einer weiteren Ebene auch unsere gewohnten Denkmuster und Kategorien thematisiert, indem Sie jeweils ein Etikett auf den Knäuel angebracht hat:

eines bzgl. der zeitlichen Dimension „Seeweg 70 Std“, eines bzgl. der räumlichen Dimension „1 Km“,

sowie eines mit der Aufschrift „2500 Luftmaschen“.

Ich möchte hier ausdrücklich noch anfügen, dass die Künstlerin mit ihren Arbeiten für uns nicht nur eindrucksvoll den Bodenseeraum thematisiert, sondern mit ihrem „Land&See-Art Projekt Seegfrörne“, über den regionalen Bereich hinaus auch wichtige, globale Verweise leistet, indem sie das Zustandekommen des Projekts, von der zukünftigen klimatischen Situation im Winter abhängig macht.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass dies ein spannendes, in die Zukunft weisendes Groß-Projekt ist, das unter der Betrachtungsweise der realen Umsetzbarkeit, gleichzeitig auch unseren täglichen Umgang mit Ressourcen, sowie unseren Energieverbrauch hinsichtlich des Klimawandels thematisiert.

Lore Unger & Christian Scheel gemeinsamen Beitrag sehen Sie im anderen Ausstellungsflügel an der hinteren Wand.

Lore Unger ist vielen bekannt als naturalistische Malerin, die ihre Inspirationsquelle auch aus der sie unmittelbar umgebenden Natur nimmt.

Mit Stift, Feder, Tusche, Gouache, Tempera und Öl entwickelt sie vor allem strukturelle Motive von Bäumen, Feldern, Wegen und Felsen.

Dabei fügt sie naturalistische angelegte Teilaspekte aus Flächen oder Linien in Wiederholungen so zusammen, dass sich auf dem Bildträger ein großes Ganzes ergibt, welches dem Betrachter ihren Begriff von der „Schönheit der Natur“ vor Augen führen soll.

Bzgl. des Themas „Seezone“, zeigt sie uns in ihrem 3-teiligen Bild „Wasserzeichen 1-3“ mittels Gouache auf Papier an der linken hinteren Wand gegenüber, ihr Motiv vom „bewegten Wasser“, das in Korrespondenz zu Christian Scheels Objekten steht.

Christian Scheel arbeitet vorrangig als Objektkünstler, der in der Gemeinschaftsarbeit mit Lore Unger, die installativen Teile beisteuerte; bestehend aus einem Original-Seezeichen vom Bodensee, drei seiner Holzobjekte mit dem Titel „Rheinfall“, sowie zwei schwarzen

Blechwannen, die auf dem Boden zwei farbige Sonarvermessungsfotos vom Bodenseegrund zeigen.

Diese Wannen sind übrigens mit Bodenseewasser gefüllt, welches der Künstler extra mitgebracht hat: Wissen Sie woher?

.... aus der Wasserleitung des KUNSTBEZIRKs, denn der Bodensee sorgt ja angeblich für die gesamte regionale Wasserversorgung in Stuttgart und darüber hinaus... .

So schließen die beiden Künstler wunderbar den Kreis, indem Sie in ihrer Gesamtinstallation gemalte Impressionen der Wasseroberfläche, Objekte aus Bodensee-Schwemmholz und Industriestahl, ein original Bodensee-Seezeichen, wissenschaftliche Fotos vom Bodenseegrund und reales Bodensee-Wasser miteinander in Beziehung setzten.

Nun last but not least zu

Prof. Hermann Waibel, den ich zu Beginn dieser Einführung ja schon ganz kurz vorgestellt habe.

Für unsere Ausstellung konnten wir, ideal passend zum Ausstellungsthema, seine beiden Arbeiten „Raumlichtfarbe“, die Sie ganz vorne rechts im gegenüberliegenden Ausstellungs- abschnitt an der Fensterfront sehen, gewinnen.

Prof. Waibel arbeitet seit Ende der 1950er Jahre, im Bereich der konkreten Kunst, wobei sich sein gesamtes Werk um das zentrale Thema des Lichts gruppiert, indem er stets die Wechselwirkungen und Veränderlichkeit seiner Objekte, je nach Sonnenstand und Lichteinfall, untersuchte.

Dabei ist das Lichtphänomen über dem Bodensee in seiner Veränderung, eine immer währende Inspirationsquelle für die Arbeit des 1925 in Ravensburg geborenen Künstlers.

So folgte er seiner besonderen Ambition „Licht in Farbe so einzubringen, dass es sich dort konkret als Bewegungsfaktor zeigen kann“, um den Künstler hier im Wortlaut zu zitieren.

In seinen anfänglichen Werkgruppen, beschäftigte er sich vor allem mit der Lichtstruktur, später entwickelte er spezielle Lichtinstrumente und seit den 1980er Jahren forscht er intensiv an den Lichtfarben.

Darin tritt Licht durch gefärbte, übereinander gelagerte Kunststoffgaze hindurch, das auf der weißen Rückwand reflektiert wird, wodurch die leuchtenden Farbflächen und die besondere Spektralität erzeugt werden.

In den beiden hier an der Fensterfront präsentierten Arbeiten aus der Werkgruppe „Raumlichtfarbe blau“ (rechts die zentrale von 2014 und links die aktuelle von 2014), wird die Leuchtkraft und Tiefe der Farbwirkung weiter gesteigert.

So veranschaulichen diese, sowohl im Zusammenspiel mit dem Lichteinfalls des KUNSTBEZIRKs, als auch untereinander in ihrem Verweis zur Wasser- und Himmelfarbe des Bodensees, eine facettenreiche Wirkung von Blauabstufungen, die auch an Wellen im See erinnern können (um den Künstler hier selbst zu zitieren).

Wenn Sie an einem sonnigen Tag gegen 17 Uhr in den KUNSTBEZIRK kommen, werden sie entdecken, dass in beiden Bildern zusätzlich noch die linke Bildhälfte der hinteren Fläche bemalt wurde: dies erzeugt diese ganz besondere, räumliche Farblicht-Wirkung!

Prof. Waibel bringt mit dem verdichteten Titel „Raumlichtfarbe blau“ somit auch die grundlegenden Aspekte und Dimensionen des Seezonen-Raumes bzgl. der besonderen, elementaren bildnerischen Mittel wunderbar auf den Punkt!

Um nun den Spannungsbogen dieser Einführung sowohl kunsthistorisch als auch poetisch zu schließen, möchte ich den großen Kunstgeschichtler Werner Haftmann aus seinem Standardwerk „Malerei im 20. Jahrhundert“ aus dem Jahre 1954 mit seinem visionären Ausblick zitieren:

„Heute ist alles im Bewusstsein vorhanden: die Jahrmillionen des biologischen Werdens, die Jahrtausende des menschlichen Ausdrucks, die Lebensformen aller Völker. Unser Bewusstseinsraum ist ungeheuerlich gedehnt und hat alle biologischen, ästhetischen, geographischen Räume in sich eingesaugt und operiert mit ihnen gleichzeitig!“

Unter diesen „globalen Perspektiven“ möchte ich Sie nun in die eröffnete Ausstellung entlassen und auch schon auf unsere Künstlergespräche zur Finissage am 14. Mai um 16 Uhr hinweisen.

Wer sich weiter mit diesem Thema beschäftigen möchte, dem sei auch die kommende Ausstellung des Württembergischen Kunstvereins mit dem Titel „Ein Loch im Meer“ empfohlen, die sich (laut Einführungsfaltblatt) eher den „Phantasmen und Repräsentationen, der Unwegsamkeit und scheinbaren Beherrschbarkeit von Meer-, Land-, und Luftraum“ widmet.

Ich bedanke mich recht herzlich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen nun einen beeindruckenden „Seezonen-Abend“:

Der See lässt der unbändigen Lust nach Ausdrucksformen und Assoziationen freien Lauf!

© Marcus Kettel 4/2016