Hier und Jetzt läuft bis 10.09.2011

Fotos vom Feinsten


Die Eröffnung fand am Mittwoch, den 10. August 2011

19:30 Uhr im KUNSTBEZIRK

im Gustav-Siegle-Haus

am Leonhardsplatz statt.

Nach kurzer Begrüßung stellte Uli Gsell die Künstler vor. Den lesenswerten Text seiner Einführung finden Sie unten.

Während der Ausstellungsdauer bis zum 10. September 2011 ist dienstags - sonnabends je von 15:00 - 18:00 geöffnet.

Geplant ist zum Ende noch eine Schlussveranstaltung. Details bald an dieser Stelle.

Die Foto-Schau befragt unsere Welt- und Bildersicht nach Standpunkt und Zeitgenossentum.

Wir stellen aus:

Fotos von

Wolfram Janzer,

Volker Hamann,

Josh von Staudach

und

Martin Sigmund.


In den 400 Quadratmeter großen Räumen der Galerie Kunstbezirk geht es diesmal um den fotografischen Blick aufs Urbane. Der Blick reicht von Wolfram Janzers „Flächenverspannungen“ über die „Kunstlicht-Dimensionen“ von Volker Hamann und„eschereske" Raumordnungen Josh von Staudachs bis zu den „intim-anonymen“  Spiegelungen von Martin Sigmund. Die Inkongruenz von menschlicher Wahrnehmung  und apparatehafter Bildgebung führt die ausstellenden Künstler zu höchst interessanten Lösungen.


Dauer: vom 10. August bis 10. September 2011.

Schalung von Staudach

Moderner Molzverhau

Zur Appetitanregung

Farben von Janzer

Friedhof San Cataldo

Himmel von Hamann

Weites Land

Skurriles von Sigmund

Fast Weltkulturerbe

Einführung von Uli Gsell

Ausstellungssplitter

Einführung in die Ausstellung von Uli Gsell, Ostfildern

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Künstler,

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ ist eine chinesische Weisheit, die ich als Kind auf einer Kodakwerbebroschüre gelesen habe; trotzdem versuche ich zu Ihnen zu sprechen, vielleicht werden es ja auch mehr wie tausend.

Gestatten Sie mir als Fachfremden einen Blick auf das Tun meiner Künstlerkollegen, ich nenne Sie hier Fotografen, zu werfen.

Dass menschliche Wahrnehmung und die Fotografie, welche ein mechanisches Bildgebungsverfahren ist, nicht das Selbe sind, ist eine notwendige Feststellung, angesichts der scheinbaren Selbstverständlichkeit mit der wir Bilder, Videos, Clips …. fertigen, verbreiten und konsumieren.

Es ist schon verwunderlich mit welcher Hingabe wir nach 185 Jahren Fotografiegeschichte, wenn wir mit Joseph Nicephore Niepce beginnen, an diesen Apparaten hängen, unsere Weltsicht durch sie hindurch vornehmen, ihre Bilder gar als“ Realität“ begreifen.

Menschliches Sehen ist Gestaltwahrnehmung, ein unheimlich komplexer Vorgang, an dem ca. 40 verschiedene Regionen im Hirn beteiligt sind. Die Fotografie kann man als rein optisches Sammeln und Fixieren von Lichtpunkten auf einer Fläche beschreiben.


körperlich-sinnliche Erlebnis

Kunst-Interview

Man könnte diese Nichtkongruenz als einen Verlust beschreiben, wie es z.B. Gerhard Glüher konstatiert. „Wenn das körperlich-sinnliche Erlebnis eines gebauten Raumes, in dem wir uns bewegen, sich verwandelt in ein fotografisches Architekturbild, müssen immer mindestens zwei Phänomene des Wahrnehmungsverlustes in Kauf genommen werden: erstens blendet das Bild die körperliche Raumzeit aus, zweitens gibt es eine flächige Projektion von drei Dimensionen wieder.“

Man kann aber auch den besonderen Reiz verspüren, diese Begrenzung als schöpferischen Antrieb zu nutzen, unsere Welt- und Bildersicht zu befragen. Die hier ausstellenden Künstler sind diesem Reiz voll und ganz erlegen und gehen dieser Befragung auf ganz eigene Art und Weise nach.

Was verleiht diesen Bildern das Besondere, den „Mehrwert“ wie es Volker W. Hamann sagt, nachdem der Verlust der Aura von Bildern doch gerade durch die Fotografie als Mittel der technischen Reproduktion festgestellt wurde ?

Was ist das Besondere, vielleicht Einmalige an diesen Bildern von teilweise alltäglichen Situationen, eigentlich recht unansehnlichen Orten?

 

Gerhard Glüher schreibt über Wolfram Janzer:“ SeineArt der Architekturfotografie kennt die üblichen medialen Verluste nicht, die zwischen Raumerlebnis und Raumdarstellung üblich sind. Zwar verspannte auch er seine Kompositionen so provokant, dass ästhetische Disharmonien und Strukturungleichgewichte entstehen, doch er ist ein Meister des Equilibriums, der nichts dem Zufall überlässt. Mit dem Instrument seiner Kamera gelingt es ihm, den architektonischen Raum so zu transformieren, dass seine Bilder filigrane und subtile Gleichgewichte darstellen zwischen Flächenstruktur und nachvollziehbarer Raumerfahrung. Janzer, der von der Architektur und der Zeichnung kommt, setzt die Linie als Symbol für eine Raumgeste ein, die sowohl den konkreten Raum meinen, als auch derartig offen sein kann, dass wir nichts anderes zu sehen meinen als die pure Abstraktion. Seine Bilder bewegen sich auf der Grenze zwischen gegenstandsloser Assoziation von Raum an sich und dargestellter Architektur, die sich in poetische Bild-Zeichen verwandeln, hinter denen ein strenger Gestaltungswille steht. Dieser generiert Bildgestalten, in denen die Fläche zum Raum und der Raum zur Fläche wird. Dass diese Verschiebung im Medium der Fotografie gelingt, verdankt sie einzig der Seh-Fähigkeit des Fotografen, welche die Lichtzeichen zu Lichtzeichnungen macht.“


Janzers Raumeindruck

Freudige Begrüßung

Wolfram Janzer übersetzt einen perspektivischen Raumeindruck, wie er in unseren gebauten Städten vorherrscht in flächige Kompositionen von größter Spannung. Die (nächtliche) Beleuchtung (das wäre das jetzt) , der bewusst gesuchte Standpunkt (sein hier) helfen ihm die räumlichen Körper in gestenhaft verbundene Bildflächen zu verwandeln. Dieser Standpunkt, der ein fotografisches Bild definiert, ist aber nicht mit dem Kodakpoint - dem Punkt, von dem aus sich ein Motiv optimal erschließt - zu verwechseln. Natürlich geht es auch um die dargestellten Dinge, doch der eigene Gestaltungswille verwandelt sich diese an: wie ein Musiker die vorhandenen Noten interpretieren muss, so hat der Künstlerfotograf diese Vorgaben sich zu eigen zu machen und zu übersetzen.

 


Staudach zeigt Panoramabilder

Vernissage-Gängerin

Josh von Staudach zeigt hier Panoramabilder. Das Wort "Panorama" ist griechischen Ursprungs und bedeutet soviel wie "alles (oder) ganz sehen". Schon zu Beginn der Fotografie hat man mehrere Bilder nebeneinander montiert, um ein breiteres Bild und damit mehr von einer Szene zeigen zu können. Bezeichnenderweise war einer der Erfinder der Fotografie, Louis Daguerre,Panoramamaler.

-Wenn man ein 360-Grad-Foto nicht als zylindrisches Bild präsentiert, sondern als flache Darstellung, ist das Motiv elliptisch verzerrt, was den Betrachter fordert, weil es nicht der gewohnten Sehgewohnheit entspricht. Die Standort-Wahl für solche Fotos ist ganz anders als für Einzelbilder, bei denen man den idealen Blickwinkel und Ausschnitt für ein Objekt sucht. Das 360-Grad-Bild zeigt schonungslos alles ringsum. Hieraus eine Bildkomposition zu entwickeln ist auch dadurch sehr abstrakt, weil man das Ergebnis erst am Computer sehen kann. Diese Motive konfrontieren den Betrachter mit einer ungewohnten Fülle von Details, lassen sich aber relativ leicht entschlüsseln, weil es quasi einen durchgehenden "roten Faden" gibt.

Ganz anders die Serie "eschereske Treppenhäuser". „Hier versuche ich, absichtlich größtmögliche Verwirrung zu stiften. Ich drehe die Kamera in einer schiefen (geneigten) Achse durch den Raum und erziele dadurch eine Abwechslung von Aufsicht und Untersicht. Es wird ähnlich schwer wie bei Eschers Grafiken, Boden, Decke, Seitenwände auseinanderzuhalten, bzw. eindeutig zu identifizieren.“

-„In den 4 Exponaten stelle ich das "Hier und Jetzt" in Frage, weil der Betrachter verwirrt wird und skeptisch bleibt, ob es sich um reale Räume handelt. Genau dieser Skepsis stelle ich aber die absolute dokumentarische Realität gegenüber, indem meine Bilder eben nicht collagiert sind, sondern ein exaktes Abbild der Wirklichkeit darstellen, die nur durch die Wahl des fotografischen Mittels "360- Grad-Panorama" eine neue Dimension hinter den Sehnerven des Betrachters zu erzeugen versucht.“

 


Kunstkennerinnen

Beobachten wir bei Janzer und Staudach ein Spiel mit unserer Raumwahrnehmung so bildet unser Farbensehen, welches auf die Konstanzbestimmung der Dinge abzielt eine Grundlage der spannenden Arbeiten von Volker W. Hamann.

„Postkommunistische Ansicht“ nennt Volker W. Hamann seine erstaunlich farbigen Nachtaufnahmen. Entstanden sind sie in Almaty, das ist zwar nicht hier, aber als Partnerstadt von Stuttgart doch ganz nahe. Erstaunlich deswegen, weil in den Bildern nichts nachträglich bearbeitet oder verändert ist. Darauf legt er – wie übrigens die anderen Künstlerfotografen auch – großen Wert. Lediglich die Wahl des Standortes, des Bildausschnittes und der Belichtungszeit bestimmen das Ergebnis. Das künstliche Licht aus diversen Quellen erzeugt bei langer Belichtungszeit diese uns falsch erscheinenden Farben.

Gleichsam von innen heraus leuchtend erscheinen diese Relikte einer alten Zeit, unfertige Provisorien einer kommenden. Tatsächlich selbstleuchtende Bilder sind auch in unserer Blackbox zu sehen: Unter dem Titel : „Es ist angerichtet“ werden Beutestücke des Tokioter Fischmarktes zubereitet.

 

Ganz anders Martin Sigmund:

Auch er bereist die Welt, für ihn es wesentlich den Standort des hier zu wechseln und an einem anderen Ort ein jetzt zu entdecken. Sigmund zeigt uns in der Reihe „Roadtrippin“ Motive aus dem europäischen Ausland, die in ihrer Ausschnitthaftigkeit doch jedem Städter bekannt erscheinen. Sehr leise im auftreten, „intim –anonym“ in der Anmutung sind die Szenen, die er entdeckt. Als wäre der eigentliche, laute und bedeutungsschwere Augenblick gerade schon vorbei, erzählen sie mit feinem Humor beobachtete Geschichten. Die Anordnung der Bilder in Form von „Wolkern“ bildet gleichsam einen „flow“ der Gedanken und Augenblicke. Dem entspricht auch formal nicht der harte Kontrast sondern die ganze Palette der abgestuften Grautöne. Martin Sigmund macht in diesem Sinne keine Schwarz-Weiß-Bilder sondern Grisaille-Malerei. Walter Benjamin bezeichnet die Aura eines Bildes als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nahe sie auch sein mag“. Martin Sigmund erweckt den Eindruck einer Nähe bei gleichzeitiger Entferntheit. Trotzdem kann man seinen Fotografien diese Aura nicht absprechen.

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren , nun entlasse ich die Bilderwelt des hier und jetzt, ich wünsche Ihnen interessante Entdeckungen und viel Vergnügen.